Ein Ausstellungsexponat zurück im LaborMit der 'gravity cavity' auf der Suche nach Gravitationswellen
2. Juni 2025

Foto: DESY
Dass Forschungsequipment in Vitrinen und Ausstellungsräumen landet, kommt recht häufig vor: ausrangierte Prototypen, besonders attraktive Teilchendetektoren oder innovative Neuentwicklungen helfen beim Erklären der Wissenschaft und sind technologische Zeitzeugen. Dass hingegen Ausstellungsobjekte von der Vitrine wieder ins Labor wandern, kommt eher selten vor. Vor kurzem hat so ein Ausstellungsobjekt sein zweites Leben begonnen: eine bisher in Genua ausgestellte Cavity – ein Hohlraumresonator, der eigentlich zur Teilchenbeschleunigung benutzt wird – soll jetzt helfen, Gravitationswellen und Axionen zu finden.
Gravitationswellen sind ein großes Thema in der Astrophysik. Sie eröffnen einen neuen Blick auf das Universum, weil sie Phänomene sichtbar machen, die für herkömmliche Teleskope oder Teilchenbeschleuniger unsichtbar sind. Sie entstehen, wenn riesige Massen – zum Beispiel Schwarze Löcher – kollidieren oder Sterne in Supernovae explodieren. Daraus gehen Gravitationswellen hervor, die die Raumzeit stauchen oder strecken. Diese Veränderungen sind mit herkömmlichen Detektionsmethoden nicht wahrnehmbar, deshalb verwendet man derzeit riesige unterirdische Laser-Spiegel-Aufbauten, die die Raumzeitkrümmung durch Interferenz wahrnehmen können. So wurden Gravitationswellen auch 2015 zum ersten Mal am LIGO-Experiment nachgewiesen.
Daneben gibt es noch eine andere Methode, mit der sich Gravitationswellen in anderen Wellenlängenbereichen nachweisen lassen: durch Hohlraumresonatoren, im Englischen ,cavities'. Hier sind es nicht Interferenzen, sondern Frequenzverschiebungen, mit deren Hilfe sich Gravitationswellen aufzeichnen lassen. Ein vor einigen Jahren veröffentlichtes wissenschaftliches Paper hat eine kleine Renaissance in diesem vergessenen Forschungsbereich hervorgerufen, dessen Ansatz vor 20 Jahren noch als vielversprechendste Art des Nachweises für Gravitationswellen galt.
Sowohl Forschende von DESY und des Exzellenzclusters Quantum Universe der Universität Hamburg als auch vom Forschungszentrum Fermilab in den USA interessierten sich plötzlich für die einst von der italienischen Forschungsorganisation INFN in Zusammenarbeit mit dem CERN für diesen Zweck hergestellte Cavity. Beschleunigerphysiker Marc Wenskat und Experimentalphysiker Krisztian Peters leiten das Projekt zusammen. „Wir haben in Genua nachgefragt, ob wir die Cavity nutzen dürften, und unabhängig von uns hat sich zur gleichen Zeit Fermilab auch dort gemeldet“, erzählt Wenskat. „So haben wir dann eine Kollaboration aus DESY, Uni Hamburg und Fermilab gebildet, bei der nicht nur Beschleunigerentwicklung und Teilchenphysik, sondern auch Theorie und Astrophysik wichtige Rollen spielen.“ In einem ersten Schritt auf dem Weg zu einem ganz neuen Experiment haben sie die Ausstellungscavity repariert und vermessen.
Dafür musste sie ihre Vitrine in Genua verlassen und den Weg ans DESY in Hamburg antreten – laut Wenskat der einzige Ort in Deutschland, an dem man all die Tests und Korrekturen durchführen kann, die für das Aufmöbeln der Cavity nötig waren. Die große Expertise in supraleitender Hochfrequenztechnologie, wie sie auch für den European XFEL verwendet wird, lässt sich auch auf Bauteile anwenden, die etwas anders aussehen als die Resonatoren des XFEL. Der Werkstoff ist der gleiche – hochreines Niob, ein Metall, das bei sehr niedrigen Temperaturen supraleitend wird –, nur die Form ist anders: die Gravitationswellen-Cavity besteht aus zwei Zellen im Überraschungsei-Format, die leicht versetzt zueinander aneinandergeschweißt sind. Die Detektionsidee: man speist elektromagnetische Felder in beide Zellen ein, die miteinander in Phase schwingen. Wird durch einen äußeren Einfluss, wie beispielsweise eine Gravitationswelle, die Form der Cavity für einen winzigen Moment verändert, verändert sich auch das Feld in ihrem Inneren. Dafür muss die Cavity so gut wie möglich vor äußeren Einflüssen geschützt werden, die keine Gravitationswellen sind. Und man muss sie erst einmal genau kennenlernen.
Neues Leben für ein Ausstellungsstück: Krisztian Peters, Marc Wenskat (beide DESY und
Forschende am Exzellenzcluster Quantum Universe der Universität Hamburg) und
Bianca Giaccone (FNAL) wollen mit Hilfe von Cavities Gravtiationswellen messen.
Bild: DESY, Krisztian Peters
Dafür hat das Team zuerst die Transportschäden an dem alten Resonator repariert und ihn danach mechanisch vermessen und „gestimmt“, also in eine Form gebracht, die optimal auf die Frequenz eingestellt ist, die in der Cavity gehalten werden soll. „Man lernt nie mehr über ein System als in Momenten in denen es nicht funktioniert“, sagt Wenskat. Im Fall dieser Cavity hat das Team – momentan bestehend aus den beiden Projektleitern, drei Doktoranden und Expert:innen aus verschiedenen Gruppen bei DESY des Exzellenzclusters Quantum Universe – in zwei Jahren ausgesprochen viel über das System gelernt.
So viel, dass es bereit war für den zweiten Schritt: weitere Messungen und Anpassungen bei sehr niedrigen Temperaturen. Diese Tests wurden am Fermilab durchgeführt. Jetzt ist die Cavity wieder zurück in Hamburg, damit in ein bis zwei Jahren die ersten wissenschaftlichen Messungen durchgeführt werden können. „Man soll ja niemals nie sagen, aber wir erwarten nicht, dass wir mit diesem System Gravitationswellen oder Axionen, auf die es auch sensitiv ist, sehen werden“, so Peters. „Diese Messungen werden aber trotzdem von großer Bedeutung für das Fernziel sein.“
Das Fernziel ist ein ganz neues Experiment: eine eigens angefertigte neue Cavity in einem eigenen Kryostaten, eine Art großer, ultrakalter Kühlschrank, die dann die Suche nach Gravitationswellen noch effizienter angehen kann. Alle Messungen und Tests an dem ehemaligen Ausstellungsmodell sind Schritte auf dem Weg zu „SHOGWAVE“ („Superconducting cavities for the observation of gravitational waves“). So heißt das Experiment, das das Team in einigen Jahren auf dem Campus in der Science City Hamburg Bahrenfeld in Betrieb nehmen möchte.